Realität und Illusion der Oberfläche – Die Malerei Christoph Pöggelers
Realität und Illusion der Oberfläche – Die Malerei Christoph Pöggelers
„Die Aura einer Erscheinung erfahren, heißt, sie mit dem Vermögen belehnen, den Blick aufzuschlagen“.
Walter Benjamin
Die Malerei Christoph Pöggelers ist keine, die sich auf dem gesicherten Rechteck oder Quadrat der Leinwandformate oder des Tafelbildes abspielt, sondern sie ereignet sich auf scheinbar bedeutungslosen und nichtigen Objekten. Der Künstler sucht und findet Materialien, Oberflächen und Erinnerungsspuren anderer Befindlichkeiten und anderer Existenzen, in die er eingreift und auf die er seine Malereien setzt. Der Pinsel wird so gleichsam zur Schaufel und zum Werkzeug der Grabung, der Ausgrabung vergangener, scheinbar verlorener Bilder und Wirklichkeiten. Begonnen mit den Maserungsoberflächen von ausgelaugten Hölzern, die Gebrauchsspuren und eine eigene Vergangenheit besitzen, entwickelte Christoph Pöggeler eine besondere Form der Malerei, die sich auf der Basis der strukturellen Oberfläche von Vorgefundenem eine Bildwirklichkeit erschafft, die realistischund überraschend zugleich wirkt. Pöggeler erzeugt auf seinen vorgefundenen Materialoberflächen Bilder von so hoher Plausibilität, dass man denken könnte, sie seien schon immer da gewesen und der Künstler habe nur den Staub der Vergangenheit von verborgenen Bildwirklichkeiten weggeputzt.
Pöggeler ist einer, der am Straßenrand abgestellte Reste und ausrangierte Alltagsgegenstände ebenso wiederverwertet wie Bildfetzen und Zeitungsfotos aus den Bilderhalden unserer Epoche. Im künstlerischen Prozess der Wiederverwertung findet bei ihm auch eine Wiederbelebung der Dinge statt. Dem gemalten Baum, den abgebildeten Naturlandschaften wird mit dem hölzernen Bildträger etwas von ihrem Ursprung zurückgegeben. Zugleich gerät das Material Holz zum Symbol, zum Lebenssymbolfür die auf ihm dargestellten elementaren Dinge: Erde, Wasser, Luft, Körper und Materie. Christoph Pöggelers Bilder sind materielle Objekte und symbolisieren diese Materie im gleichen Atemzug in ihren Bildinhalten – in Bäumen und Landschaften, in der Haut menschlicher Körper ebenso wie in Plastikmüll und Häusertrümmern. Seine Bilder sind ‚met Aandacht’ gemalt, wie man in Holland sagen würde, wo der Begriff ohne sakrale Konnotation gebraucht wird, um eine besondere Art der Aufmerksamkeit, der Konzentration auf eine Sache zu beschreiben. Alltagsdinge in einen neuen Sinnzusammenhang zu stellen, ihnen eine Chance zur Schönheit zu geben, sie also irgendwie zu retten, frei zu experimentieren, um den Dingen auf die Spur zu kommen, ihnen einen Wert beizumessen, der ihnen außerhalb der Kunst versagt ist, dies sei eines der letzten Abenteuer und die eigentliche Kraft dieser Welt, wie es der Künstler Hilmar Boehle einmal zu Pöggelers Werken und seiner Arbeitsweise bemerkte.
Die gesellschaftlich-politische Dimension der Arbeit Christoph Pöggelers, die Thematisierung unseres Umgangs mit Natur, mit Gebrauchsgütern und Zivilisationsmüll zeigt sich im Material ebenso wie in der Wahl der Bildmotive: Geschäftsmänner und Obdachlose, Nackte und Madonnen, Müll und Trümmer stehen Urwäldern, Eisbergen und Wasserlandschaften gegenüber. Auf weggeworfenen Holzplatten malt der Künstler Obdachlose, die auf Parkbänken kampieren, Weggeworfene der Gesellschaft, aus dem Kreislauf des bürgerlichen Lebens ebenso ausrangiert, wie alte Möbel am Straßenrand. Durch behutsames aber entschiedenes malerisches Eingreifen gelingt Pöggeler eine künstlerische Rehabilitation der ehemals funktionierenden und ihren Dienst verrichtenden, durch viele Hände gegangenen Alltagsgegenstände. So werden auch ausgediente Militär-Klappliegen resozialisiert und übertragen die Wertigkeit ihres patinierten, rohen Stoffs auf die gemalten Bildthemen: Konferenzen, Wüstenoasen, Mohnfelder. Traditionelle Bildinhalte und Genres erhalten durch den Bildträger eine völlig neue Bedeutung, werden künstlerisch und thematisch frisch aufgeladen. Ohne ihnen die Würde ihrer Patina zu nehmen, werden zerkratzte Tischplatten, ausgefranste Überseekistenbretter oder brüchige Schubkarren am Ende ihres Weges zu Überlebenskünstlern des Sperrmülls. Gerade zum Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts erleben wir, dass Malerei, insbesondere Malerei aus Deutschland, wieder eine weltweite Beachtung findet. Positionen des Realismus sind dabei von neuem Interesse und finden international Beachtung. Künstlerische Haltungen, wie wir sie zum Beispiel im Werk des Leipzigers Neo Rauch erfahren, belegen die Unerschütterlichkeit von figürlicher Malerei und ihren nie versiegenden Anspruch auf künstlerische Wertschätzung. Sie sind eigenständig, individuell und „unglobalisierbar“. Christoph Pöggeler ist einer Schule erwachsen, die diese Wurzeln einer gegenstandsbezogenen Malerei aufgreifen, neu kommentieren und sie in einer Form des Surrealen tradieren, ohne dem Surrealismus anheim zu fallen.
In seiner Haltung scheint Pöggeler auf den ersten Blick als ein Künstler, der abseitig von Zeitgeistigemeine künstlerische Position ergreift, die sich aus der Anschauung und Malerei selbst definiert. Während in den Sammlungspräsentationen zeitgenössischer Kunsthäuser heute oftmals große fotografische Arbeiten dominieren, die Kulturlandschaften und Außenwelten in Perfektion und gleichsam kühler Präsenz zeigen, entfaltet Pöggeler seinen ganz eigenwilligen, solitären Wahrnehmungskosmos. Während man meinen könnte, dass die Museen der Zukunft technologiedominierte Medienlabors werden, in denen globalisierte Netzwerke künstlerischer Qualität entstehen, behauptet sich Christoph Pöggelers Malerei als ein Schatzhaus der Wahrnehmung und der Erinnerung in den gesetzten und gefundenen Spuren seiner Bildobjekte. Jean-Christophe Ammann formulierte am 16.06.2001 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel ‚Kunst unter Tränen’: „Warum die Malerei wieder wichtig werden wird: sie verteidigt das Körpergedächtnis des Menschen gegen die globale Medialisierung.“
Das, was Christoph Pöggeler auf den vorgefundenen Objektoberflächen malerisch findet, sind denn oft landschaftliche Assoziationen, in denen jedoch häufig der Mensch als Figur Eingang gefunden hat. Diese Anbindung an Naturhaftes und Landschaftliches mag an den verbalen Wettstreit in der Renaissance erinnern, in dem Leonardo da Vinci seinen Konkurrenten Sandro Botticelli verunglimpfte. Leonardo da Vinci griff den als besonderen Zeichner bekannten Botticelli an, indem er ihm jegliches malerisches Talent absprach. Leonardo da Vinci formulierte, dass man mehr Landschaften sehen könne, wenn man sich vor ein verwittertes Mauerstück setzt und dort die Oberflächen betrachtet, als man in einem Bild von Botticelli je finden könnte. Jenen Vergleich mit den verwitterten Oberflächen, die natürliche Landschaftsbilder darstellen, könnte ein Betrachter auch für die Arbeiten von Christoph Pöggeler ziehen. Auch hier werden aus den Spuren und im Material gefundenen Wirklichkeiten Landschaften, Figuren, Situationen und Ereignisse. Ungewöhnlich dabei ist die Präzision, mit der Pöggeler seine malerischen Realitäten umsetzt. Aus der Assoziation wird eine Gewissheit, aus der zufälligen Spur die konkrete Situation. Dabei gelingt es dem Künstler immer, seine naturalistisch-figurativen Setzungen so mit der Oberfläche zu verschränken, dass der Betrachter in dem Versuch, Malerei von Realität und Struktur von Illusion zu trennen, visuell verzweifeln möchte. Das Ineinandergreifen von Malerei und Struktur, von malerischer Vision und optischer Präzision ist so dicht in den einzelnen Bildobjektenverzahnt, dass der Betrachter bisweilen auch nicht mehr über die Dreidimensionalität sicher sein kann, sei sie nun Trompe-l’oeil oder konkret, da mit dem Bildobjekt verbunden.
Viele der Pöggelerschen Bildobjekte zeigen Landschaftsmotive: Urwälder, Wälder, Flusslandschaften mit Wasserspiegelungen oder Eisberge. In diesem Kontext stellt sich die Frage, was Landschaft als Motiv leistet und wie sie in künstlerischen Umsetzungen zu definieren ist. Die Landschaft als Phänomen der Betrachtung besitzt in der Tat keine konkrete Gegenständlichkeit, sondern stellt vielmehr eine Leistung der Wahrnehmung dar, die aus der Summe von Landschaft bezeichnenden Objekten – Berge, Horizonte, Bäume, Architekturen oder Städte – zu einer gleichsam abstrakten Komposition zusammengefügt ist. Streng genommen ist das Phänomen Landschaft nur aus der Ferne und der Zweidimensionalität der Fläche wahrnehmbar. Versucht der Betrachter oder Künstler, diese Ferne aufzugeben und sich der Landschaft zu nähern, verliert er die Gesamtheit und nimmt nur noch die Details wahr, aus denen sich zuvor das Landschaftsbild zusammengesetzt hat. Diese besondere Eigenschaft von Wahrnehmung in Bezug auf Landschaft hat den Weg der Kunst in die Abstraktion unterstützt und so den Zugang einer freimalerischen Auseinandersetzung mit Landschaftsphänomenen und Wahrnehmung erst ermöglicht. Die Landschaft ist als Motiv der Malerei ein Sujet, das sich im Unterschied zur menschlichen Figur nicht gegensätzlich zur Bildfläche verhält, sondern gleichsam in Analogie dazu steht. Während sich für den Betrachter eine menschliche Gestalt erst in der Nahsicht öffnet, wird Landschaft nur in Fernsicht überhaupt wahrnehmbar. Ist ein gewisser Detailreichtum notwendig für die Präsentation von Figur, entwickelt sich die Landschaft, eher detailfeindlich, in einer flächigen Makrostruktur, die durch die Fernwirkung bedingt ist. Diese Eigenschaft von Landschaft im malerischen Sinne lässt sich ohne weiteres in die Zweidimensionalität der Bildfläche umsetzen. Im Gegenteil widersetzt sich das Landschaftsmotiv selbst einer Umsetzung in den Raum, was daran deutlich wird, dass die Landschaft niemals ein Motiv der Skulptur werden konnte. Landschaft als Kollektiverscheinung existiert überhaupt nur in Fernsicht, diese vermittelt sich aber widerspruchslos in der ebenen Gegebenheit des Bildes und verliert in taktiler Nahsicht ihren Charakter zugunsten bestimmter, körperlicher Gegenstände wie Baum, Strauch, Steine oder ähnliches. Die notwendige, das Einzelne übergreifende Kontinuität der Landschaft als Kollektiverscheinung tritt in eine direkte Analogie zur Malerei, insofern dort die Kontinuität der Malfläche die Würdigung des Bildes selbst ist.
All diese Phänomene und Entwicklungen Landschaftsmalerei hat der Maler Christoph Pöggeler gleichsam verinnerlicht und lässt sie in der Auseinandersetzung mit den vorgefundenen Objekten wirksam werden. Dabei tritt bei ihm im umgekehrten Sinne die Struktur des Bildes als Detail in den Vordergrund, um der Malerei selbst die Illusion der Fernwirkung zu überlassen. Betrachtet man Pöggelers Arbeiten aus großer Nähe, erkennen wir das Zusammenspiel der malerischen Strukturen mit den Oberflächen, wir erkennen, was gemalt und was real ist und lassen uns im Duktus des Spurenlesers auf die Arbeiten ein. Wenn in seinen Landschaften die flächige Makrostruktur in Zwiesprache mit dem Mikrokosmos der Holzstruktur tritt, zeichnen die Linien und Fasern des Naturmaterials trotz großflächiger Farbübertünchung einzelne Bäume und Sträucher eines Waldes nach. Maserungsverläufe spiegeln Wolken ins Wasser eines Sees. Verpackungshinweise und Piktogramme, in Schablonen-Schrift auf Kistenbretter gedruckt, schimmern irritierend vom Grund eines Flusses, durch das Blau eines Eisbergs, durch das grüne Laub eines Baumes und senden ihre Botschaften und Imperative. Betrachtet man die Arbeiten dann aus größerer Distanz, wird ihr Realismus immer übermächtiger bis hin zur fast dreidimensionalen Illusion oder der Gewissheit, fotorealistische Abbildungen vor Augen zu haben.
Seit 2007 hat Christoph Pöggeler eine Serie mit dem Titel „Die Sehnsucht der Männer“ geschaffen, die allesamt auf gebrauchten Klappliegen entstanden sind. Hier bedient sich der Künstler tatsächlich des Mediums der „Leinwand“, zumindest einer Art von Stoffmaterial, wie es für einfache Sonnenliegen Verwendung findet. Wichtig dabei jedoch sind die vorgegebene Bemusterung und Ornamentalität und die Gebrauchsspuren der Objekte. Das Bildmotiv bindet sich hier zum Teil direkt in die Stofflichkeit der Liege, die banal erscheint, jedoch durch die malerische Umwandlung eine neue und andersartige Bedeutung gewinnt. So zu sehen in der Arbeit, die eine Madonnengestalt auf blumigem Hintergrundzeigt und stilsicher einer Ikone gleich einen ungeheuren Bedeutungswandel erfährt. Beeindruckt von dem Vertrauen der Menschen in das sakrale Bild entstanden bei einem Bulgarien-Aufenthalt in einem Touristenort am Schwarzen Meer Pöggelers erste Bilder auf Klappliegen. Konzeptionell ähnlich verhält es sich auch bei der nackten Toten, die auf einem scheinbaren Seerosenteich schwimmend, an das symbolistische Gemälde „Ophelia“ von John Everett Millais erinnert und dennoch ganz zwangsläufig und eigenwillig aus dem typischen 70er-Jahre Blumenmuster einer Sonnenliege entwickelt ist.
Dabei wird auch die Zeitlichkeit als Phänomen der Wahrnehmung in diesen Arbeiten auf sehr subtile Art und Weise thematisiert. Der Vergänglichkeitsprozess des Objektes wie der Erinnerung scheint in den Arbeiten auf. Der Faktor Zeit, als ein Phänomen der Betrachtung, ist gleichsam mit dem Faktor Erinnerung ständig in den Arbeiten von Christoph Pöggeler präsent. Objekt und Malerei werden in Pöggelers Bildern eins. Durch die Schatten bildende, reliefartige Oberflächenstruktur vieler seiner Holzbilder verändern sich diese mit dem wechselnden Tageslicht, fangen Tageszeiten und besondere Lichtverhältnisse ein, existieren auf diese Weise symbiotisch mit Raum und Betrachter. Es entstehen Bilder mit Erzählstrukturen, in die auch Rätselhaftes eingewoben erscheint. Malerischer Duktus, konkrete Oberflächen und realistische Malerei verdichten sich in den Bildobjekten zu einem kompositionellen Teppich, der die Gegenwart immer auch in die Vergangenheit hinein verlängert.
Gabriele Uelsberg